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JENS HÖFFKEN

Pressebesuch

Posted on Dezember 8, 2021März 3, 2022

Ich bekomme noch Post! Auch literarisch bin ich immer auf dem neuesten Stand. Meine Zeitschriften! Ich bin auf dem Laufenden. Was wollen wir aufschlagen? Sargnagel? Niemals. Jelinek? Nur über meine Leiche.

Es kann trotzdem nicht immer Raddatz sein. Ich muss das so hinlegen. So. Hier. Damit man weiß, dass ich auch im Gehen lese. Nein, hier drüben. Denn ich lese niemals auf dem Weg ins Bad. Ich lese auf dem Weg in die Küche. Auf dem Weg in den Garten lese ich auch nicht, weil ich mich dort lieber der Natur zuwende. Immer denken alle, ich verstünde nichts von der Natur. Ich lese in der Natur! Im Garten: Ja! Aber auf dem Weg in den Garten betrachte ich lieber Akelei, Anemone, Krokus, Kornblume.

Einen Tee. Ich muss einen Tee auf den Tisch stellen. Sonst denken sie wieder alle, ich tränke keinen Tee. Das kann ich diesmal klarstellen, dass ich Tee trinke. Neuerdings trinke ich immer einen Tee! Kräuter, Schwarz, Frucht. Was kommt denn an? Was trinkt man denn heute so, wenn die Presse zu Besuch kommt? Ich weiß es nicht! Warum muss man mich überhaupt wegen so etwas beurteilen? Oder genau genommen: Warum muss man mich überhaupt besuchen? Aber wenn die Presse kommt, dann koche ich doch lieber einen Kräutertee. Es gibt Fencheltee, damit es nicht am Ende heißt, ich sei reaktionär. Ich bin zwar reaktionär, aber das soll die Presse nicht herausfinden. Und wenn die Presse es schon herausfindet, dann nicht wegen dem Tee. Wegen des Tees nicht.

Dann schon lieber wegen meiner Frisur. Ich habe die Friseurin um eine reaktionäre Frisur gebeten, aber sie konnte das nicht. Jetzt ist die Frisur weder altmodisch noch modern. Sie sieht jetzt aus, als wäre ich altbacken, wollte aber modern wirken! Das ist das Schlimmste, das mir jemals passiert ist. Wenn die Presse kommt, werde ich mir einen Hut aufsetzen. Ich hätte den Hut ohnehin getragen. Aus Sicherheitsgründen. Wenn der Artikel schlecht wird, kann ich mich auf eine Rolle berufen. Wer einen Hut trägt, kann sich immer auf eine Kunstfigur herausreden. Seit ich das einmal verstanden habe, vor zwei Jahren in etwa, führe ich immer einen Hut bei mir. Ich setze ihn selten auf, aber ich trage ihn mit verschränkten Armen hinter meinem Rücken. Das bringt mich auch mit den Leuten im Dorf ins Gespräch, wenn ich gelegentlich das Haus verlasse. Warum tragen Sie den Hut hinter dem Rücken, werde ich dann gefragt. Und ich erwidere, dass Sie das einen Dreck angeht, was ich mit meinem Hut mache.

Ich habe auch eine Dame bestellt, sie müsste gleich klingeln. Nein, nicht irgendeine Dame, ich habe inseriert. Meine Freundin würde mich niemals besuchen, wenn sie weiß, dass die Presse kommt. Sie würde mich dann überhaupt nicht aushalten. Zurecht, kann ich Ihnen sagen, aber ich mache das alles für die Literatur und wenn Literatur auf das Leben trifft, dann ist der Streit schon vorprogrammiert. Deshalb habe ich inseriert. Meine Freundin befürwortet das. Es entlastet sie, psychisch und physisch. Aber es stresst mich immer noch, weil ich mit den Inserat-Damen auch bei Presseterminen noch nicht der richtigen Dreh gefunden habe, noch nicht den entscheidenden Ausdruck. Wenn ich allein wüsste, wo ich die Dame hinlegen soll. Zu den Büchern, ins Wohnzimmer? Oder doch besser in den Garten? Wenn ich sie in den Garten lege, dann kann ich behaupten, diese Dame überhaupt nicht zu kennen. Das ist im Grunde genau wie mit meinem Hut. Ich sage, erstens geht es sie nichts an, zweitens kenne ich die Dame nicht und drittens liegt diese Dame immer in meinem Garten. Weil sie von meiner Literatur ergriffen ist. Und weil sie darauf wartet, in meiner Literatur erwähnt zu werden.

Literatur! Was soll das überhaupt sein? Ich mache überhaupt gar keine Literatur. Literatur machen die Provinzler. Wer nicht schreiben kann, der macht Literatur. Ich mache so Sachen. Das ist wie in der Kunst. Wie mich diese Menschen langweilen, die von ihrer neuen Arbeit erzählen. Wenn es eine Gewissheit in der Kunst gibt, dann die, dass Menschen, die von ihrer neuen Arbeit berichten, daran nicht gearbeitet haben. Wer an der Kunst arbeitet, der macht so Sachen. Das ist nicht nur glaubwürdiger, es stimmt auch. Denn wer sich der Kunst mit Hingabe, besser, mit Schaum vor dem Mund nähert, sich daran festbeißt und verausgabt, der ist sich seiner eigenen Niederlage bewusst. „Mit Glück“, wird dieser Mensch sagen, „mit Glück merken sie nicht, dass ich gar nicht gearbeitet habe. Nein, dass ich völlig außer mir war. Im Grunde muss ich gestehen: Ich war das gar nicht. Ich bin plötzlich seitlich weggenickt, dann hatte ich einen Aussetzer und plötzlich lag dieser Text da. Er gehört mir gar nicht. Ich bin nur der Anwalt dieses kleinen Unglücks. Aber wenn Sie dieses Malheur zur Großartigkeit mißzuverstehen suchen, können wir trotzdem ein bißchen ins Geschäft kommen.“

Neuerdings sammle ich Sätze. Ich will niemals einen einzigen Satz sagen, der von mir selber stammt. Das ist mir viel zu riskant. Ich habe einen kleinen Kalender, einen Kalender von Moleskine. Und wenn ich etwas gefragt werde, dann blättere ich. Der Journalist denkt sich: Großartig, allein schon, wie er da sitzt. Wie er in seinen Kalender vertieft ist und seine Formulierung schärft. Wie er sie: Schnitzt!
Ich denke gleichzeitig: Welche Phrase passt am wenigsten zur Frage? Oder umgekehrt: Welche gute Antwort, die nicht von mir ist, lässt die phrasenhafte Frage am schnellsten auffliegen? Denn dann, denke ich mir, habe ich mit dem ganzen Gespräch nichts zu tun. Ich gebe der phrasierten Fragestellung eine Antwort, die nicht von mir ist und ich setze meinen Hut auf und ich stelle mich hinter die Frau, der ich dafür zahle, dass sie sich an den Pool legt, der mir auch nicht gehört, weil ich hier gar nicht wohne.

Das Wichtigste an einem gelungenen Künstlergespräch ist das Missverständnis. Ich lese vorher so lange russische Dramen, bis mir die russische Datscha die Blässe ins Gesicht treibt. Bis ich im Grunde außer „Nach Moskau!“ überhaupt gar keine flüssigen Worte mehr herausbringe. Und dann können sie kommen, ein paar Mal im Jahr.

Dass ich Tee trinke, glauben sie mir inzwischen. Ich muss Bücher neben den Tee legen, damit sie denken, dass ich lese.

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