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Kartlis Deda – Die Mutter Georgiens

Posted on Februar 7, 2022September 25, 2022

Wenn unter diesem Gewand ein Herz schlägt, dann muss der eiserne Wille zu brechen sein. Der eiserne Wille, so dazustehen und auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte ein Schwert und eine Weinschale zu halten. Das ist Haltung, Kartlis Deda und für diese Haltung schauen wir dich an. So wie die Justitia ihre Waage hält, ohne jemals ihre Körperspannung und den Sinn für das Gleichgewicht der Welt zu verlieren. Justitias Augen sind verbunden, sie ist ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Aber dein Blick gleitet weit über das Land, du siehst auch die Stadt und die Menschen und du siehst auch mich.

Wie versprochen habe ich dir alles mitgebracht, wonach ich geglaubt habe, dass du verlangen könntest. Frischen Wein, gleich mehrere Fässer, um deine große Schale zu befüllen. Wetzmesser und Schleifsteine, um dir dein verwittertes Schwert wieder in neuen Glanz zu setzen.

Jetzt stehe ich vor dir und sehe dich kaum, weil du so groß bist. Viel größer noch, als du auf den Fotografien warst. So groß, wie ich überhaupt noch keine Frau gekannt habe. Aber ich bin ein stolzer Mann und das soll uns nicht entzweien, dass du mich um das dreizehnfache überragst. Ich habe auch meinen Stolz und der ist vielleicht sogar noch höher als deiner, auch wenn ich nicht immer nur auf dem Hügel stehe, mit dem Schwert und dem Wein.

Wenn es Klugheit im naiven Blick gibt, dann ist es der neugierige Charme der Unkenntnis. Ich weiß nicht, wer du bist. Aber deine Ausdauer hat mich herkommen lassen. Mein Blick tastet deine Oberfläche ab und alles darunter ist meine Projektion. Du stehst dort und ich kann dich nur ansehen, weil deine Sprache mir erst morgen bekannt sein wird. Ich will deine Sprache gar nicht kennen, weil ein jeder Mensch immer zu viel sagt, sobald er einen anderen Menschen kennt. Man muss gar nichts sagen, aber bewegen muss man sich. Und wenn ich mich doch noch von dir abwende, dann nur, weil du dich nicht bewegst. Dass du nicht sprichst, daran habe ich mich bereits gewöhnt.

Kartlis Deda, was wird nun aus uns? Kann ich mir wirklich eine Zukunft mit dir vorstellen, wenn du dich nicht rührst? Wie soll ich jemals mit dir auf eine Fuchsjagd gehen, wenn du so eisern bleibst in deinem Willen zur Unbeweglichkeit?

Ich werde versuchen, dir so unbeweglich gegenüberzustehen wie du es tust. Wer sich zuerst bewegt, der muss auch in unserem gemeinsamen Leben nachgeben. Wenn dein Schwert sich bewegt, wirst du es an mich übergeben müssen und dann stehe ich mit deinem Schwert vor dir. Dann werde ich vom Wein verlangen, von dieser unermesslichen Weinschale, die in dreißig Jahren nie getrunken wurde und nie getrocknet ist. Nur das Blut Christi hat noch mehr Ausdauer, die größte Ausdauer aber, die habe ich. Wenn ich darauf warte, dass du dich bewegst, dann kann ich nur gewinnen. Keine Aufgabe könnte leichter sein, als dir dabei zuzuschauen, wie du erst die Geduld, dann die Contenance und schließlich auch deine Unberührtheit verlierst.

Wenn du eine Rakete wärst, dann könnte ich mit meinem Blick die erste Stufe zünden und dann die zweite. Mit einem Feuerschweif würdest du in die Höhe steigen und in der Erdumlaufbahn würden meine Gedanken genügen, auch die dritte Stufe zu zünden. Damit du endlich der Schwerkraft trotzen und in Ewigkeit schwerelos durchs All ziehen könntest. Eine aus Holz und Aluminium gebaute Haltung, die ohne einen Gedanken an eine Erwiderung zeitlos und in sich unbeweglich in einen expandierenden Raum gleitet.

Aber vorerst habe auch ich Zeit. Ich stehe hier und warte, weil ich das so gut gelernt habe, dass ich es fast so gut beherrsche wie die Ungeduld. Wenn du mich gehört hast, dann musst du mir jetzt ein Zeichen geben. Ein Zeichen, weil ich in Wahrheit weder Zeit noch Geduld habe. Ich bleibe jetzt für immer hier stehen. Du musst dich rühren.

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